Lila Lenker: “Das Rad muss sich drehen, damit man im Gleichgewicht bleibt.”

Zoe im Interview mit Nina

Die Luft schwirrt vor Hitze über der Asphaltfläche des Allee-Centers – und doch drehen einige Frauen ihre Runden auf dem Parkdeck. Das Gespräch mit Nina von Lila Lenker – einem Projekt für das Fahrradfahrtraining für Frauen* mit Migrations- und Fluchtgeschichte – wird immer wieder unterbrochen von Jubeln und aufmunternden Zurufen, wenn die erneute Runde mit erhöhtem Tempo und vor allem erfolgreicher Bremsung bewältigt wird.

Hallo Nina, stell dich doch bitte kurz vor und gib uns einen Einblick in das Projekt Lila Lenker?

Hey, ich bin Nina und seit August 2023 bin ich beim Projekt Lila Lenker hier im Allee-Center Grünau auf dem Parkdeck C dabei. Das Projekt wurde 2022 von Nora und der anderen Nina ins Leben gerufen, inspiriert von einem ähnlichen Projekt, das sie in Berlin kennengelernt hatten. Unser Ziel ist es, kostenloses Fahrradtraining für alle FLINTA* anzubieten, mit einem besonderen Fokus auf Frauen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte. Dabei wollen wir den Zugang zu Mobilität fördern und die Selbstständigkeit stärken. Kinder sind ebenfalls herzlich willkommen – während des Trainings kümmern wir uns liebevoll um sie, sodass alle entspannt teilnehmen können.

Habt ihr einen besonderen Bezug zu dem Ort, oder habt ihr euch dafür entschieden, weil ihr hier im Umfeld viel Bedarf seht?

Wir wollten das Training dort anbieten, wo der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund vergleichsweise hoch ist. Als das Quartiersmanagement Grünau uns dann an das Allee-Center verwies, war das ein Volltreffer. Der Ort selbst – das oberste Parkdeck – eignet sich besonders gut, weil wir hier einerseits vom Verkehr abgeschottet, aber vor allem auch vor neugierigen Blicken geschützt sind.

Wie wird das Angebot angenommen?

Es wird immer besser wahrgenommen, weil wir mittlerweile auch mehr Leute sind und deshalb mehr Energie in administrative Aufgaben stecken können. Jetzt haben wir auch die Kapazitäten, uns intensiver um Dinge wie Social Media zu kümmern. Bevor ich dazugestoßen bin, waren sie, glaube ich, zu viert. Mittlerweile sind wir insgesamt zehn Frauen. Da kann man auch mal richtig die Werbetrommel rühren. Nora, die das alles auf die Beine gestellt hat, ist zudem viel am Vernetzen. Hin und wieder versucht sie auch, Fördergelder zu beantragen, aber das kostet alles sehr viel Zeit. Der Bedarf ist auf jeden Fall da.

Stößt euer Projekt auch auf Widerstand?

Ganz sicher, ja – aber bisher hat sich noch niemand die Mühe gemacht, auf uns zuzugehen. Als wir uns beim Stadtbezirksbeirat um eine Mini-Förderung beworben haben, stimmten Vertreter*innen der AfD natürlich gegen uns. Aber dank der Stimmen von SPD und Grünen haben wir die Förderung letztlich bekommen. Das war eine sehr unangenehme Situation, da man in der Sitzung vor Ort stehen muss. Wir machen auch relativ selten etwas außerhalb dieses Ortes hier und üben vor allem in unserem Safe Space. Einige Male waren wir jedoch auch schon mit Frauen, die hier oben so weit gekommen sind, dass sie sicher fahren können – inklusive Schulterblick und Handzeichen – auf ihren jeweiligen Alltagswegen unterwegs.

Was kommen so für Menschen hierher? Habt ihr euer Angebot von Anfang an auf Frauen mit Migrationsgeschichte ausgerichtet?

Die Frauen, die hierherkommen, stammen hauptsächlich aus Syrien, Afghanistan, der Ukraine, aber auch aus dem Sudan und Somalia. Doch es kommen auch ab und zu ältere Frauen, die ein bisschen aus der Übung sind und wieder üben möchten. Letztes Jahr wurden wir auf einer Veranstaltung von Omas gegen Rechts darauf aufmerksam gemacht, dass es viele ältere Frauen gibt, die nicht mehr regelmäßig Fahrrad fahren und sich unsicher fühlen. Sie würden gerne wieder verkehrstauglich werden, trauen sich aber oft nicht. Unser Angebot ist von Anfang an hauptsächlich auf Frauen mit Migrationsgeschichte ausgerichtet, aber wir freuen uns, dass wir auch älteren Frauen helfen können.

Habt ihr Hintergründe in der sozialen Arbeit oder in der Pädagogik?

Nein, es ist kein pädagogisches Projekt, wir hatten einfach Bock.

Also habt ihr euch selbst beigebracht, anderen Leuten das Fahren beizubringen?

Learning by doing! Ich habe mir viel von Nora abgeschaut. Damals hatten wir noch ein paar zusätzliche Trainings und in dieser Zeit konnte ich mir einiges aneignen. Besonders wichtig sind die Vorübungen mit dem "Roller" und dem "Laufrad". Man sieht dabei schnell, welche Fehler die Leute machen. Da muss man selbst einen Schritt zurücktreten und sich in die Situation hineinversetzen, wie es ist, nicht Fahrradfahren zu können. Das erfordert ebenfalls etwas Übung und Einfühlungsvermögen.

Wie lange dauert es, wieder sicher im Sattel zu sitzen?

Das geht mitunter sehr schnell: Yana ist heute das erste Mal hier und ist heute auch das erste Mal auf ein Fahrrad gestiegen. Das ist sowieso das Schönste – wenn sie hierherkommen, super motiviert sind und nach den zwei Stunden förmlich hinausfliegen, weil sie sich so gut fühlen. Es ist wirklich schön, das zu sehen.

2023 habt ihr die Quartiermeister-Förderung erhalten und in eurem Bewerbungsschreiben erwähnt, dass ihr nicht die Ressourcen habt, euch um größere Förderanträge zu kümmern. Hat sich das inzwischen geändert? Gibt es Pläne oder ist die Stadt vielleicht schon einmal auf euch zugekommen?

Ich spreche natürlich nicht für die gesamte Gruppe, aber wenn wir in unserer Konstellation jemanden dazugewinnen würden, die vielleicht keine Lust auf Fahrradtraining hat, aber total motiviert ist, Marketing, Social Media oder sogar das Schreiben von Anträgen zu übernehmen, dann wäre das großartig. Wir sind erst seit letztem Jahr so viele und langsam kann das Projekt wachsen.

Wenn ihr euch etwas wünschen dürftet – von der Stadt, von der Politik oder vielleicht nie wieder Regen, damit ihr immer hier trainieren könnt –, was wäre das?

Also ich wünsche mir tatsächlich Weltfrieden – aber abgesehen davon wäre es mein Wunsch, dass kleine Projekte, die Menschen zusammenbringen, mehr Beachtung und Förderung erhalten.

“Das Schöne an dem Projekt ist für mich das Empowerment, aber es bringt auch Frauen  zusammen, die sich sonst gar nicht begegnen würden.”

Woher habt ihr eure Fahrräder?

Die Räder sind gebraucht gekauft oder gespendet und von uns in liebevoller, mehr oder weniger kompetenter Handarbeit aufgemotzt. Es handelt sich hauptsächlich um Klappfahrräder und 24-Zoll-Räder. Bisher sind wir auch kein eingetragener Verein; das sind alles Schritte, die wir uns gemeinsam in Ruhe überlegen müssen.

Hast du noch ein paar abschließende Worte?

Das Schöne an dem Projekt ist für mich das Empowerment, aber es bringt auch Frauen zusammen, die sich sonst gar nicht begegnen würden. Es entsteht ein gewisser Erfahrungsaustausch, der normalerweise nicht stattfinden würde. Viele Frauen kommen sehr verängstigt hierher, haben teilweise Angst, sich auf den Roller zu stellen, und verlassen uns dann später verschwitzt und lachend. Zu sehen, dass etwas so Alltägliches wie Fahrradfahren dazu führen kann, dass man enorm über sich hinauswächst, ist wirklich ein ganz tolles Erlebnis. Es ist ein Privileg, das als Kind gelernt zu haben und zu können, ohne darüber nachdenken zu müssen.

Vielen Dank!

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