Wie kaufen weiblich gelesene Personen Fahrräder? Genderspezifisches Marketing mit Anna Weber
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Wie kaufen weiblich gelesene Personen Fahrräder? In ihrer Masterarbeit hat sich Anna Weber mit genderspezifischem Marketing in der Fahrradbranche beschäftigt – und überraschende Erkenntnisse gewonnen. Im Gespräch mit uns in Freiburg erzählt die leidenschaftliche Mountainbikerin und Promovendin an der Professur für Unternehmensführung, Organisation und Personal an der Universität Freiburg, warum Frauen andere Erwartungen an Beratung und Kaufprozesse haben – und was sich in der Branche dringend ändern sollte.
Cris im Interview mit Anna Weber
Hallo Anna, du fährst leidenschaftlich Mountainbike und hast im Master Marketing studiert – wie kam es dazu, dass du dich in deiner Abschlussarbeit mit genderspezifischem Marketing in der Fahrradbranche beschäftigt hast?
Während meines Studiums habe ich in einem Fahrradladen gearbeitet und gemerkt: Frauen werden als Zielgruppe oft übersehen – oder nur sehr eindimensional angesprochen. Dabei ist diese Zielgruppe riesig und unglaublich vielfältig. Ich wollte wissen, welche Faktoren speziell Frauen beim Fahrradkauf beeinflussen – und wie genderspezifisches Marketing in der Branche wirklich wirkt. Als Radfahrerin war es mir ein persönliches Anliegen, mehr Bewusstsein und differenzierte Ansprache in dieses Feld zu bringen.
Du hast deine Masterarbeit in Kooperation mit Liv geschrieben, der Frauenmarke von #Giant. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit – und wie sah deine Studie konkret aus?
Der Kontakt zu Liv entstand durch meine Arbeit im Fahrradladen – wir haben dort sowohl Giant als auch Liv verkauft. Über diesen Weg kam der Kontakt zu Judith von Liv zustande, die mich bei der Datenerhebung unterstützt hat. Für meine Arbeit habe ich eine Online-Umfrage durchgeführt, um herauszufinden, welche Faktoren die Fahrradkaufabsicht von Frauen beeinflussen. Ich habe das in drei große Bereiche gegliedert: emotionale Faktoren wie die persönliche Einstellung zum Fahrrad oder die emotionale Bindung, soziale Faktoren wie Community oder sozialer Druck und produktspezifische Aspekte wie Preis-Leistung, wahrgenommene Qualität und Service. Aus diesen Variablen habe ich ein theoretisches Modell gebaut und statistisch ausgewertet, um zu sehen, welche Einflüsse wirklich entscheidend sind.
In deiner Studie ging es also nicht nur um Werbung im klassischen Sinn, sondern auch um Kommunikation und Beratung im Fahrradladen?
Genau, es ging nicht nur um Marketingmaßnahmen im engeren Sinne, sondern ganz allgemein um Kommunikation – also auch um Service, Beratung, Bilder, Sprache. Alles, was mit der Wahrnehmung rund um den Fahrradkauf zu tun hat, floss in mein Modell ein. Denn die Einstellung zum Fahrrad entsteht durch viele Faktoren: durch das, was ich sehe, höre, erlebe. Wenn ich als Frau auf Bildern kaum vorkomme oder nur mit rosa Rädern angesprochen werde, beeinflusst das, wie ich mich als Kundin wahrnehme – und ob ich mich angesprochen fühle.
Also stecken hinter Kaufentscheidungen tiefere gesellschaftliche, kulturelle Prägungen?
Absolut. Genau da liegt ein zentraler Punkt: Die geschlechterspezifische Prägung beginnt schon sehr früh. Jungs bekommen oft robuste Räder, Technik, Geschwindigkeit – bei Mädchen steht hingegen schnell die Optik im Vordergrund. Rosa, Glitzer, Prinzessin. Dieses Bild zieht sich bis ins Erwachsenenalter weiter. Auch in der Fahrradbranche ist das spürbar – sei es in der Farbwahl, der Kommunikation oder der Produktentwicklung. Und das wird Frauen nicht gerecht. Es geht nicht darum, alles gleichzumachen, sondern Vielfalt wirklich zuzulassen.
Du hast in deiner Studie nicht nur Zahlen ausgewertet, sondern auch Rückmeldungen bekommen. Was wurde dir da erzählt?
Viele der Teilnehmerinnen haben mir im Nachgang zur Umfrage geschrieben – oft mit sehr persönlichen Erfahrungen. Es ging häufig um schlechte Beratungssituationen in Fahrradläden: Dass man nicht ernst genommen wurde, dass auf Bedürfnisse nicht eingegangen wurde, dass Verkäufer*innen einfach nicht richtig zugehört haben. Manche schilderten, dass sie genau wussten, was sie wollten – etwa ein bestimmtes Bauteil – und trotzdem erstmal kritisch beäugt oder belehrt wurden. Auch ich kenne das aus eigener Erfahrung: Ich sage klar, welche Bremsscheibe ich brauche – und bekomme erstmal erklärt, was ich eigentlich bräuchte. Da entsteht schnell das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Und ich war nicht die Einzige – das hat mich darin bestärkt, dass es da ein strukturelles Problem gibt.
Was müsste sich in der Branche ändern?
Das ist eine große Frage – wer muss anfangen? Natürlich kann ich als Kundin vorher recherchieren, mich im Freundeskreis austauschen, vielleicht wissen: Was will ich? Wofür brauche ich das Rad? So kann ich mich ein Stück weit wappnen. Aber eigentlich ist der Fahrradladen ja genau der Ort, an dem Beratung stattfinden sollte – wo ich Fragen stellen darf, ohne schon alles zu wissen. Das ist die Stärke des stationären Handels und genau da müsste die Branche ansetzen. Viele Frauen holen sich Orientierung im Umfeld – Community, Freundeskreis, Online-Foren. Das soziale Umfeld spielt eine große Rolle bei der Kaufentscheidung, das hat meine Studie ganz klar gezeigt. Einige Händler*innen machen das schon gut: mit Community-Chats, Austauschplattformen oder einfach besser erklärten Produkten im Laden. Denn Produktwissen ist entscheidend: Wer versteht, was ein 85-Nm-Motor bedeutet, trifft andere Entscheidungen als jemand, der gar keinen Bezug dazu hat. Die Branche muss noch viel stärker darauf eingehen – nicht mit mehr rosa Farbe, sondern mit mehr echter Zugänglichkeit.
Du hast in deiner Arbeit herausgefunden, dass Community oft wichtiger ist als klassische Beratung. Warum ist das so?
Weil Beratung leider oft nicht auf Augenhöhe stattfindet. Viele Frauen, die an meiner Umfrage teilgenommen haben, haben berichtet, dass sie sich beim Fahrradkauf nicht ernst genommen gefühlt haben – sei es wegen Mansplaining, fehlender Sensibilität oder weil ihnen schlicht nicht zugehört wurde. Ich kenne das selbst. Dabei wissen viele genau, was sie brauchen – aber werden trotzdem erstmal hinterfragt. In meiner Analyse zeigte sich: Community-Aspekte wirken deutlich positiver auf die Kaufabsicht als klassische Serviceangebote. Beratung muss besser erklärt, zugänglicher und empathischer werden – und sollte nicht nur einen technischen Fokus haben. Ich fände es zum Beispiel toll, wenn mehr Frauen im Verkauf oder bei Service-Hotlines arbeiten würden. Das hilft einfach, Bedürfnisse besser zu verstehen. Ich erinnere mich an ein Beispiel: Ich hatte Schmerzen beim Fahren mit dem Dropbar – und dachte lange, das liegt an mir. Bis ich durch Gespräche mit anderen Frauen erfahren habe, dass das durchaus zyklusabhängig sein kann. Genau solche Themen werden in Beratungsgesprächen oft übersehen – weil das Verständnis fehlt. Umso wertvoller sind Netzwerke, in denen man offen darüber sprechen kann.
Du selbst fährst ein #Canyon – ein Rad von einem Direktversender ohne Beratung. Hat das auch mit solchen Erfahrungen zu tun?
Tatsächlich schon. Ich wollte unabhängig entscheiden, mich in Ruhe informieren – ohne mich in ein Gespräch reindrängen zu lassen. Ich habe zwar nicht explizit untersucht, ob Frauen eher online kaufen, aber ich sehe da ein Muster: Wenn Service nicht gut ist, wird er auch nicht genutzt. Und wenn Community mehr Vertrauen schafft als Beratung, dann ist das ein klares Signal. Die Branche sollte das ernst nehmen.
Was war für dich die überraschendste Erkenntnis deiner Arbeit?
Tatsächlich: der Spaß am Fahrradkauf selbst. Das „Enjoyment“ – also wie positiv der Kaufprozess empfunden wird – hatte den stärksten Einfluss auf die Kaufabsicht. Es wirkte sich viel stärker aus als technische Details oder reine Produktinfos. In Gesprächen ist mir klar geworden, dass es Frauen oft um ein gemeinsames Erlebnis geht – ähnlich wie bei diesen klassischen „Tupper-Partys“, nur eben mit Fahrrädern. Das klingt erstmal banal, zeigt aber: Wenn der Einstieg Freude macht, wenn man sich aufgehoben fühlt und gemeinsam ausprobieren kann, dann entsteht echte Kaufmotivation.
Also lieber gemeinsames Erleben als nüchterner Faktenvergleich?
Ja, genau. Natürlich geht es auch um Informationen, aber die müssen erfahrbar und niedrigschwellig sein. Viele klassische Events oder Ausfahrten sind sehr leistungsorientiert und männlich geprägt. Gerade für Einsteigerinnen kann das abschreckend sein. Es braucht Angebote, die Türen öffnen – durch Atmosphäre, durch Offenheit. Frauenspezifische Events können dabei helfen, aber letztlich geht’s nicht um Schubladen, sondern um Zugang. Frauen sind keine Nische – sie gehören zur Zielgruppe. Punkt.
Siehst du einen Wandel in der Branche?
Auf jeden Fall. Gerade im Rennrad- oder MTB-Bereich ist der Andrang riesig – viele Händler*innen kommen mit kleinen Rahmengrößen kaum hinterher. Influencerinnen und Sportevents wie die Tour de France Femmes zeigen Wirkung. Es tut sich was – und das ist gut so. Sichtbarkeit inspiriert. Aber es braucht weiter gezielte Unterstützung: durch Produkterklärung, Community, Role Models. Denn wenn wir Frauen auf dem Rad sehen, trauen sich mehr aufs Rad. Und genau das ist der Weg.
Was braucht es noch – von Branche und Kund*innen?
Mehr Frauen in der Beratung, eine Bildsprache, in der Frauen sichtbar sind, niedrigschwellige Angebote, bei denen man einfach mal ausprobieren kann. Und vor allem: mehr Forschung. Ich habe erste Erkenntnisse geliefert, aber da gibt es noch viele offene Fragen – etwa dazu, wie stark Sicherheitsgefühl oder Community das Verhalten beeinflussen.
Und dein Appell an Frauen, die gerade nach einem Rad suchen?
Traut euch. Geht in Läden, fragt nach, vernetzt euch. Online gibt es tolle Communities, viele Influencer*innen sind offen für Austausch. Du musst kein Technikprofi sein, um ein gutes Rad zu finden. Es geht darum, rauszugehen, auszuprobieren – und das Radfahren einfach zu genießen. Du bist nicht allein da draußen.
Vielen Dank!