Die Stadtbahn kommt

Nachdem Ende des Jahres 2022 die politische Entscheidung in der Kieler Ratsversammlung für den Bau einer Stadtbahn mit überwältigender Mehrheit gefällt wurde, schreitet die Planung anhand des Realisierungszeitplans nun zur nächsten Phase der Umsetzung voran. Die ersten Straßenbahnen sollen bereits in etwa zehn Jahren in Betrieb genommen werden. Das geplante hochwertige ÖPNV-System in Kiel wird klimaschonend, komfortabel und modern sein und damit als wegweisend für die zukünftige Mobilität der Stadt gelten. Das Netz soll insgesamt 36 Kilometer umfassen und mit vier Linien betrieben werden. Alle Linien werden am Kieler Hauptbahnhof vorbeiführen. In Zusammenarbeit mit der städtischen Verwaltung, Stakeholder*innen und den Bewohner*innen Kiels ist es nun erforderlich, die verschiedenen Streckenabschnitte konkret zu planen und zu gestalten. Mit dem dänischen Ingenieurunternehmen Ramboll trifft deutscher Ingenieursgeist auf nordische Innovationskraft. Wir sprechen mit Nils Jänig, Spearhead Director, Rail Systems, Ramboll Deutschland GmbH, über den Status Quo sowie einen Ausblick der Stadtbahn.


Anne-Katrin und Lorenz im Interview mit Nils Jänig

Visualisierung der Holtenauer Straße

Hallo Nils, für viele Menschen ist es sicher erstmal schwierig zu verstehen, warum wir erst in knapp zehn Jahren in der Stadtbahn sitzen werden. Bitte schildere uns einmal den Zeithorizont und wann wirklich mit der Jungfernfahrt der Stadtbahn zu rechnen ist?

Um den Gesamtprozess zu verstehen, bedarf es folgender Gedanken: Dieses große Investitions- und Bauprojekt in Infrastruktur folgt bestimmten Regeln in Deutschland, die wir nicht ignorieren können. Wir versuchen eine Planungsbeschleunigung zu erreichen – ein wichtiges Wort, das gleich zu Beginn erwähnt werden sollte. Kiel probiert vorbildlich, die Prozesse zu beschleunigen, dass wir nicht ewig planen. Planungsbeschleunigung bedeutet, dass wir viel mit den Kieler Ämtern und der Öffentlichkeit ganz früh arbeiten und viele Herausforderungen früh abfangen, bevor es zum eigentlichen Planfeststellungsverfahren kommt. Dort sparen wir dann hoffentlich Zeit.

Wir sind aktuell in der Phase der Vorplanung, welche im Januar 2023 begann. Wir planen 36 Kilometer Stadtbahn, die Vorplanung soll in zweieinhalb Jahren durchgeführt werden. Wir sitzen hier an der Holtenauer Straße – auch an diesem Ort wird die Trasse entlangführen, so viel steht fest – aber, ob sie in der Mitte, links, außen liegt, wie die Haltestellen liegen, wie sich die Kreuzung mit dem Knooper Weg und der Bernhard-Minetti-Platz gestaltet, planen wir gerade. Wir arbeiten auch an dieser Stelle sehr erfolgreich auch mit vielen Visualisierungen, die diese Umgestaltung für die Öffentlichkeit veranschaulichen sollen. Eine derart intensive und frühe öffentliche Beteiligung ist eigentlich nicht Standard, aber wir führen diese auch so früh durch, damit die Anwohner*innen oder die Gewerbetreibenden ihre Wünsche äußern können und sich berücksichtigt fühlen. In der Holtenauer Straße sprechen wir von einer besonderen Situation, da diese Straße die zentrale Einkaufsstraße Kiels ist. Mitte Februar 2024 hatten wir z.B. gerade einen von vielen Terminen mit dem Holtenauer e.V., um deren Anmerkungen zu der vorgeschlagenen Straßenraumaufteilung zu besprechen.

Wie viele Beteiligungsabschnitte wird es geben?

Anhand des 36 Kilometer-Netzes bewegen wir uns durch Kiel. Abschnitt für Abschnitt gibt es die Möglichkeit der Beteiligung. Insgesamt haben wir Veranstaltungen in elf Abschnitten – zu diesen Beteiligungsprozessen kann jede*r Bürger*in kommen. Das Projekt ist damit direkt in der Gesellschaft verankert und wird eher akzeptiert. Dabei bleiben auch wichtige Diskussionspunkte wie Anlieferungszonen und Parkplätze nicht aus. Der zur Verfügung stehende Querschnitt ist leider begrenzt, wir planen ja nicht im luftleeren Raum. Als Beispiel hilft folgende Berechnung für die Holtenauer Straße: Wir müssen auf der Straße mindestens zwei Meter Radweg, mindestens drei Meter Gehweg – idealerweise mehr –, Sicherheitsabstände zur Stadtbahntrasse von 50 Zentimetern planen und dann bleibt nur eine gewisse Restmenge für die Straße. Dazwischen befindet sich die Stadtbahn. Alle Vorschläge müssen sich an den vorhandenen Platz anpassen und Eingriffe in Privatgrund muss auf ein Minimum beschränkt bleiben.

Wenn wir die elf Abschnitte mit Ämtern sowie den Bürger*innen durchgesprochen und beplant haben, wird es zeitlich Anfang bis Mitte 2025 sein. Länger darf es nicht dauern. Wenn wir schneller sind: Wunderbar! Ende 2024 sollen der Finanzierungsantrag sowie die sogenannte standardisierte Bewertung, dass sich das Projekt auch volkswirtschaftlich rechnet, an Bund und Land für die ersten elf Kilometer eingereicht werden. In diesem Abschnitt würde dann 2025 die Leistungsphase 3-4 "Entwurf und Plangenehmigung” beginnen. In der Plangenehmigung oder Planfeststellung werden die Pläne dann offiziell fertiggestellt, hier gibt es definitiv weitere Möglichkeiten zur Beteiligung. Wenn das durch ist mit allen Einsprüchen, geht es zur Planfeststellungsbehörde. Diese erteilt das Baurecht. Darauf folgt die Ausführungsplanung in den Jahren 2029 und 2030, dann kann ein möglicher Bau beginnen. Ende 2033 könnte die erste Linie fahren, wenn alles ideal verläuft. 

Wir treffen uns mit Nils Jänig, Spearhead Director Rail Systems bei der Ramboll Deutschland GmbH, im Café Tackmann direkt an der Holtenauer Straße – ein strategisch wichtiger Punkt für die geplante Stadtbahn in Kiel.

Wir finden es sehr lobenswert, dass zu einem so frühen Zeitpunkt umfassend und detailliert beteiligt wird und Trassenspaziergänge sowie die eigentlichen Abendveranstaltungen angeboten werden. Welchen Einfluss haben die Ergebnisse auf die Planung?

Wir nutzen Planstände direkt aus unserer Arbeit, die wir stadtintern mit vielen Stakeholder*innen abstimmen. Wir warten also nicht immer darauf, alles bis ins letzte Detail fertigzustellen, das würde viel zu lange dauern. Auch das ist Planungsbeschleunigung. Wir wollen mit der Stadtbahn die Chance ergreifen, in Kiel die Stadtentwicklung zu unterstützen und die Stadt nach französischem Vorbild auf ein neues Niveau zu bringen. Mit Plänen gehen wir in die Öffentlichkeit und sammeln Feedback ein, wobei uns die Kommunikationsagentur Zebralog aus Berlin unterstützt. Das Feedback aus öffentlichen Veranstaltungen wird zuerst intern und anschließend mit den Ämtern diskutiert – am Ende bleiben oft 10-15 relevante Punkte pro Abschnitt übrig, welche die Planung wirklich beeinflussen. Wir erhalten aber auch viele generelle Punkte, die gar keinen direkten Bezug zur Stadtbahn haben. Nicht alle Vorschläge können umgesetzt werden, denn wir müssen im Sinne des Projekterfolgs abwägen, manche Punkte bekommen wir aus verkehrsrechtlichen Gründen auch nicht umgesetzt.

Neben den Veranstaltungen gibt es noch einen Online-Dialog. Die eingereichten Kommentare werden genauso strukturiert bearbeitet und alle auch online beantwortet. Die relevanten Punkte versuchen wir ebenso in die verschiedenen Pläne zu integrieren.

Wir wollen mit allen Dialogen sehr transparent bleiben und möglichst nichts offen lassen. Die #Stadt Kiel hat sich selbst den unglaublich hohen Anspruch gegeben, alle Anmerkungen zu sichten und zu beantworten, das ist schon zeitaufwendig. Der Dialog muss aber meiner Meinung so aufrechterhalten bleiben, es lohnt. Ich persönlich kenne das aus keinem vergleichbaren Projekt so. Das stellt für mich aber auch die Planungsbeschleunigung dar, die wir erreichen wollen. Wir geben uns jetzt die Mühe viel fachlich und inhaltlich zu diskutieren und hoffen, dass bestimmte Anmerkungen später nicht nochmal aufkommen und wir somit Zeit bei der Plangenehmigung einsparen.

Das geplante Liniennetz der Stadtbahn

Welchen Stellenwert genießt das Fahrrad in der Planung der Stadtbahn? Hat die emissionsfreie Fortbewegung in der Planung Vorrang oder wird das ausgeklammert und auf das Veloroutennetz 2035 verwiesen?

Wir von Ramboll sind ein dänisches Unternehmen und schreiben uns eine hohe Fahrradkompetenz auf die Fahne – und haben auch verschiedene deutsche Fahrradprojekte wie zum Beispiel die Erarbeitung der aktuellen Fahrradstrategie für Münster oder die Planungen von vielen Radwegen in Berlin gewonnen. Wir versuchen deswegen mit den Kolleg*innen aus unserem Kompetenzzentrum Radverkehr Berlin die innovativen Ansätze, wie man Fahrradverkehr heutzutage plant, in Kiel einzubringen. Die Planung des Veloroutennetzes in Kiel ist im Tiefbauamt angesiedelt und es gibt einen Fahrrad- sowie Fußverkehrverantwortlichen. Mit denen kooperieren wir gut, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind.

Die deutschen Gesetze sind leider immer noch sehr straßenlastig. Es muss zum Beispiel immer sichergestellt werden, dass die Leistungsfähigkeit von Kreuzungen mit Fokus auf dem MIV gewährleistet wird. Diese Gesetze können wir natürlich nicht ignorieren. Daher kommt der aus meiner Sicht verständliche Kritikpunkt aus der Fahrradlobby – die Belange des PKW-Verkehrs haben immer noch eine relativ hohe Bedeutung in diesem Land. Und das gilt nicht nur für Kiel. Wir versuchen in dem knappen Straßenraum die Belange des Radverkehrs immer zu berücksichtigen, wir wollen schließlich den gesamten Umweltverbund fördern. Aber wir müssen uns auch fragen: Wollen wir das Projekt erfolgreich abschließen und etwas für alle erreichen? Wenn wir ausschließlich radikal zugunsten des Umweltverbundes umplanen, wird die Straße darunter leiden. Das ist in Deutschland bisher nicht umsetzbar. Wir müssen das große Ganze sehen und sind bereit, auch Kompromisse zu machen. Aber, da wo es geht, probieren wir alles für den Radverkehr zu unternehmen.

Auch für die angesprochene Holtenauer Straße, in der wir hier im Café sitzen, werden wir für den Radverkehr eine gute Lösung finden – das Ergebnis wird deutlich besser als der Ist-Zustand. Und nein, wir wollen die Veloroutennetzplanung der Stadt Kiel nicht torpedieren, aber der Platz ist manchmal begrenzt und wir müssen entscheiden, wie dieser aufgeteilt wird. Die Stadtbahn braucht sieben bis acht Meter Platz mit einem eigenen Bahnkörper. Dieser ist notwendig, da es nicht der Sinn sein kann, dass die Stadtbahn im Stau steht. Die Stadtbahn muss schnell und attraktiv sein. Die Verteilung des verbleibenden Straßenraums muss intensiv diskutiert und alle Verkehrsträger müssen abgewogen werden. Am Ende möchten wir das Projekt umsetzen und keine Pläne produzieren, die in der Schublade verschwinden. Wir bekommen deswegen ja auch Kritik der Fahrradlobby, ja, berechtigt – unsere Antwort ist immer die Gleiche: Erklären, Erklären und Erklären. Die Fahrradlobby ist sehr wahrnehmbar in Kiel und das finde ich persönlich auch sehr wichtig.

Die Stadtbahn soll auf mehreren Kreis- und Landesstraßen fahren. Was bedeutet das an Änderungen?

Hier lautet das Stichwort: Klassifiziertes Straßennetz und mögliche Entwidmung. Fährt die Stadtbahn auf einer Landesstraße bedeutet dies, dass die Leistungsfähigkeit der Straße trotzdem eine hohe Bedeutung behält. Eine von uns erarbeitete Variante trägt dem immer Rechnung, indem die Straßenklassifizierung beibehalten wird. Bei anderen Varianten weichen wir davon ab und wir schlagen auch vor, ausgewählte Straßen herunter zu klassifizieren. Die Klassifizierung des Straßennetzes liegt aber nicht in der Hand der Stadt Kiel. Dafür muss man sich mit dem Land einigen. Das Tiefbauamt vergibt gerade dazu eine Studie, in der ein aktualisiertes Gesamtkonzept für das Straßennetz in Kiel geplant wird. Die Ergebnisse sind auch für die Stadtbahnplanung sehr wichtig, wie z.B. hier in der Holtenauer Straße. In einer Variante schlagen wir eine Entklassifizierung der Holtenauer Straße im Zusammenhang mit Tempo 30 vor, das gibt der Straße einen neuen Charakter, was auch viele Einzelhändler*innen unterstützt. Ich persönlich glaube, dass die Stadtbahn und das damit eingehende Veloroutennetz nicht an der Straßenklassifizierung scheitern werden, wir werden mit allen Kieler*innen gute Lösungen für alle Verkehrsträger zusammen mit der Stadtbahn finden.

Vielen Dank, Nils.








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Umdenken mit Astrid Cramer

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Pauline Grabosch